Man sieht Obdachlose überall in der Stadt.
Irgendwie sind sie wie die Stadtvögel. Man sieht sie, nimmt sie aber gar nicht mehr wahr.
Irgendwie gehören sie dazu, aber es würde auch kaum jemand ihr Fehlen bemerken.
Wie man zum Obdachlosen wird, ist individuell sehr unterschiedlich.
Ziemlich sicher haben einige dieser Menschen auch unmittelbar selbst Schuld an ihrer Situation, viele sind aber durch eine Verkettung sehr unglücklicher Umstände und einige auch ganz schuldlos auf der Straße gelandet.
Doch wer sind diese Obdachlosen eigentlich?
Ist das ein bestimmter Schlag Mensch? Sind das alles Leute, die nicht in der Lage sind, sich vernünftig um ihr Leben zu kümmern?
Grundsätzlich kann man sagen, dass Obdachlose einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft abbilden.
Es gibt unter den Obdachlosen Menschen, die nie etwas im Leben auf die Reihe bekommen haben. Schule abgebrochen, keine Ausbildung, Gefängnis rein, Gefängnis raus, Drogen und Alkohol. Das so jemand obdachlos wird, liegt eigentlich auf der Hand.
Aber glauben Sie mir, so sind die wenigsten Obdachlosen. Natürlich gibt es die eben genannten auch, aber selbst unter den meisten Obdachlosen werden solche Leute nicht gern gesehen.
Es gibt Menschen, die haben vorher jahrzehntelang ein bürgerliches Leben geführt und im allgemeingültigen Sinne alles richtig gemacht.
Die eine gute Ausbildung gemacht, später gut verdient, ein Haus gebaut, Kinder großgezogen, Freunde und Hobbys gehabt, Geld fürs Alter gespart, also ein normales deutsches Bürgerleben geführt haben und die dann auf Grund diverser Umstände auf der Straße gelandet sind.
So geschehen meinem alten Straßenkollegen K.
Bei ihm war es die Frau, die ihn nach jahrzehntelanger Ehe verlassen hatte. Er begann seinen Schmerz mit Alkohol zu betäuben und plötzlich stand er in den Mittfünfzigern obdachlos auf der Straße.
Und es gibt viele andere, individuell sehr verschiedene Gründe, warum Menschen zu Obdachlosen werden.
Es gibt Akademiker die auf der Straße leben.
Nun haben wir in Deutschland natürlich ein Sozialsystem, dass doch in solchen Fällen hilft. Niemand muss obdachlos sein!
Doch so einfach ist das nicht!
Natürlich haben wir in Deutschland ein sehr gutes Sozialsystem, doch mir persönlich sind sogar zwei Fälle bekannt, wo Leute durch das Sanktionssystem des Jobcenters obdachlos geworden sind.
In beiden Fällen wurde unterstellt, dass sie nicht in der vom Jobcenter bezahlten Wohnung leben würden und die Mietzahlungen wurden eingestellt.
So gut wie unser staatliches Hilfesystem auch im Vergleich zu anderen Ländern ist, so hat das Netz auch Lücken, durch die man fallen kann.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass zur Erlangung staatlicher Hilfsmittel ein teilweise unglaublicher Behördenmarathon zu absolvieren und ein enormer Papierkrieg zu führen ist.
Gerade der letztgenannte Punkt, ist für viele Obdachlose überhaupt nicht zu bewältigen.
Viele Termine einzuhalten, Papiere aufzubewahren und zu bearbeiten ist auf der Straße außerordentlich schwer.
Für mich spielte Zeit auf der Straße so gut wie keine Rolle. Ich orientierte mich grob an den Jahreszeiten. Das war ausreichend. Es ist tatsächlich einmal vorgekommen, dass ich mich erkundigen musste, welcher Monat gerade ist. Ich hätte auch für eine Million Euro nicht sagen können, ob Juni, Juli oder August ist.
Zeit hat draußen irgendwie eine andere Dimension und ist sehr relativ.
Die Tage reihen sich endlos und gleichförmig aneinander. Immer im selben Rhythmus von Schlafengehen, Aufstehen, Schnorren, Trinken und Schlafengehen.
Das Sonntag ist bemerkt man vielleicht höchstens daran, dass auf den Straßen weniger los ist, oder weil der Supermarkt erstaunlicher Weise geschlossen hat.
Ähnlich ergeht es vielen Obdachlosen.
Niemand führt einen Kalender und oft werden Termine verpasst, einfach weil man sich nur im Tag geirrt hat. Beim Jobcenter zieht dies sofort Sanktionen nach sich oder der Antrag wird nie gestellt, weil man den unzähligen Forderungen nach immer wieder neuen Unterlagen des JC nicht nachkommen kann.
Erschwerend kommt hinzu, dass Obdachlose oftmals keinerlei Papiere mehr haben, weil auf der Straße eben sehr häufig gestohlen wird.
Ebenso fehlt eine Postadresse. Es gibt zwar Einrichtungen wo Obdachlose sich ein Postfach einrichten können. Doch man muss sich dort einmal in der Woche sehen lassen, weil das Postfach sonst wieder geschlossen wird. Einmal in der Woche klingt nicht viel, ist aber unter den Bedingungen auf der Straße eine Herausforderung. Und schon wieder ist ein Termin verpasst und das JC begrüßt einen mit einer zehnprozentigen Kürzung.
Für mich lag einmal ein fertiger und bezahlter neuer Personalausweis bei der Polizei. Ich musste nur fünf Stationen mit den Öffentlichen fahren um ihn abzuholen. Doch so unglaublich es klingt, ich war damit überfordert. Am Ende begleitete mich ein Streetworker.
Wenn man bereits mit solchen Kleinigkeiten an seinen Grenzen stößt, ist ein HARTZ4-Antrag ein gigantisches Projekt, dass man ohne Hilfe überhaupt nicht in Angriff zu nehmen braucht. Von diesen Hilfen gibt es leider viel zu wenig.
Und oftmals verlieren obdachlose Menschen ihren Anspruch auf die Unterstützung auch wieder, weil sie den Forderungen des Jobcenters aus oben genannte Gründen nicht nachkommen können.
Es gibt ein Gesetz, das besagt, dass wenn jemand sich bei den Behörden als obdachlos erklärt, dieser noch am selben Tag untergebracht werden muss.
Die Praxis ist ganz anders.
Am meisten hört man den Satz, dass nichts frei sei. Stumpf und stupide.
Eigentlich müsste sich jetzt die Behörde auf die Suche nach einer Unterkunft machen. In der Praxis sieht es so aus, dass man nun Listen mit Unterkünften und eine Zusage zur Kostenübernahme in die Hand bekommt.
Nun muss man dort überall nachfragen, ob ein Platz frei ist. Ohne Handy muss man dort überall persönlich hin. Oft hat man in dieser Situation kein Geld für die Fahrkarte.
Hat man es dann unter Umständen geschafft einen Platz zu ergattern, braucht man von der Unterkunft eine Bescheinigung, mit der man wieder zur Behörde muss und von dort dann endlich in die Unterkunft, die man aber sehr oft nur für eine Nacht hat.
Über solchen Aktivitäten kann ein ganzer Tag vergehen.
Diese Zeit hat ein Obdachloser nicht. Er muss ja auch noch das Geld für den täglichen Lebensunterhalt zusammen bekommen. Also Flaschen sammeln, Schnorren oder die Obdachlosenzeitung verkaufen.
Also ist diese Möglichkeit eher eine theoretische.
Dann gibt es natürlich noch die Übergangshäuser, die Obdachlose aufnehmen.
Allerdings ist es sehr schwer und meist mit langen Wartezeiten verbunden, einen Platz zu bekommen. Und sehr oft sind diese Heime einfach nur abstoßend. Auch wenn es Ausnahmen von dieser Regel gibt.
Es gibt teilweise Unterbringung in Mehrbettzimmern, wo man mit viel Pech mit Menschen aus vier Nationen, jeden Alters und mehr oder weniger betrunken die Nacht verbringen muss.
In anderen Einrichtungen kann man länger bleiben, aber dort ist die Situation vielfach nur bedrückend. Menschen leben mit einer Minimalausstattung in einem Zimmer und dies teilweise für 20 Jahre.
Bei mir war es so, dass ich von der Straße kam, in ein acht Quadratmeter großes Zimmer gesetzt wurde, mir der Name meines Mitbewohners genannt wurde und da saß ich dann. Nichts mit Hilfe bei der Neuintegration. Ich besaß nichts. Kein Radio, kein Telefon, kein Internet. Nach einer Stunde wollte ich wieder gehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass man für die Unterbringung in einem Übergangshaus, im HARTZ4-Bezug sein muss. Mit den oben genannten Schwierigkeiten.
Obdachlose waren mal ganz normale Menschen.
Was man sieht, ist ein Mensch mit schmutziger Kleidung, der eventuell nicht gut riecht, der vielleicht betrunken ist oder lästig oder sogar aggressiv agiert. Kein angenehmer Anblick.
Doch was Ihr wahrnehmt ist nur eine Augenblick-Aufnahme aus dem Leben dieses Menschen.
Dieser Mensch war mal ein kleiner Junge. An seinem ersten Schultag ist er stolz wie Bolle mit seinem neuen Ranzen und seiner Zuckertüte zur Schule gegangen. Stellt Euch den Penner vom Bahnhof doch mal in dieser Situation vor. Es ist der gleiche Mensch!
Vielleicht hat er mal geheiratet? Stellt ihn Euch mal vor, wie er nach der Trauung seiner Frau den Kuss gibt.
Stellt ihn Euch vor wie glücklich er gewesen sein mag, als er sein erstes Neugeborenes auf dem Arm hielt.
Das ist der Mensch vor Euch, von dem Ihr aber nur eine hässliche Karikatur wahrnehmt.
Schaut den Leuten in die Augen. Dort kann man diesen Menschen oft noch erkennen.
Und es kann jeden treffen.
Ihr seht also, dass es ziemlich einfach ist auf der Straße zu landen und sehr schwer von dort wieder weg zu kommen.
Und vielleicht beginnt der eine oder andere nach meinen Schilderungen nun damit, Obdachlosen ein wenig mit anderen Augen zu sehen. Das sind nicht durchweg Versager, die dieses Leben ja eigentlich wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Es waren mal ganz normale Menschen die nun unter diesen elenden Bedingungen leben müssen.
Wenn Ihr Gefallen an dem Geschriebenem habt, sagt mir doch bitte in den Kommentaren Themen die Euch im Zusammenhang mit Obdachlosigkeit interessieren.
Euer André
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