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27. November 2023

Und täglich grüßt das Murmeltier...

Routinen haben für Autisten eine große Bedeutung
Wenn es auf unserem Planeten echte Gewohnheitstiere (RW)* gibt, dann sind es viele autistische Menschen. Hier mal ein paar Zeilen die beschreiben, wie sehr mich persönlich Abweichungen von meinen gewohnten Routinen, aus dem Gleichgewicht bringen können.

Seit Jahren frühstücke ich jeden Morgen exakt das Gleiche. Eine Schüssel Haferflocken mit Milch und Stevia und eine große Tasse Kaffee. Zumindest wenn ich Zuhause bin. Aber auch bin Hotels versuche ich meine Gewohnheiten aufrecht zu erhalten. Und es ist jedes Mal eine kleine Katastrophe für mich, wenn ich dann doch zu einem Brötchen greifen muss. Das bringt mich richtig ein bisschen durcheinander und fühlt sich "falsch" an. Falsch im Sinne von, irgendetwas ist nicht in Ordnung und das macht mir Unruhe. Oft trage ich diese Unruhe den ganzen Tag mit mir herum.
Auch bei der Kleidung ist es nicht anders. Seit Jahren trage ich ausschließlich weiße T-Shirts, Pullover oder Hemden. Hose und Schuhe sind immer schwarz. Erst in den letzten Monaten hat sich das bei mir geändert. Das liegt aber auch daran, dass aktuell mein gesamtes Leben im Umbruch ist und ich meine lieb gewonnenen Routinen und Gewohnheiten nicht aufrecht erhalten kann. Aber das kommt ganz sicher wieder. Schuhe und Jacken trage ich bis sie förmlich auseinander fallen und selbst dann fällt mir das Abschiednehmen sehr schwer. Wenn ich mal notgedrungen eine Hose in einer anderen Farbe anziehen muss, fühle ich mich darin den ganzen Tag sehr unwohl und sie gehört irgendwie nicht zu mir. Wohingegen meine schwarze Hose praktisch ein Teil von mir ist.

22. November 2023

Wie ein Autist die Welt wahrnimmt

Bevor ich wusste, dass ich ein Autist bin, habe ich mich immer darüber gewundert, wie gut andere Menschen durch ihren Lebensalltag kommen. Da ich ja nicht wusste, dass ich anders bin dachte ich naturgemäß, allen anderen geht es genau so wie mir. Ich zählte zum Beispiel im Büro die Minuten bis zum Feierabend und bis ich endlich nach Hause und mich ausruhen konnte. Mit ziemlichen Erstaunen hörte ich dann immer den Kollegen zu, die sich noch auf ein Bier oder zum Sport verabredeten. Ich hingegen kroch förmlich auf allen Vieren nach Hause und war froh, wenn mich an diesem Tag niemand mehr ansprach. Irgendwie hatten die Kollegen eine geheimnisvolle Methode gefunden, ihre Kräfte über den Arbeitstag besser einzuteilen als ich. Leider konnte ich nie herausfinden, wie diese Methode funktioniert. Ja, konnte es nicht, weil es diese Methode schlicht und ergreifend nicht gab. Heute weiß ich, dass meine Kollegen viel weniger Energie aufwenden mussten um den Tag zu stemmen, ganz einfach weil sie viel weniger wahrnahmen als ich.

Wenn ich mit vielen Menschen in einem Büro bin, nehme ich alles um mich herum wahr. Jedes Gespräch, jedes Telefonat, das Geräusch des Druckers, dutzende Telefone, die während des gesamten Tages klingeln, aber auch das Auto das auf der Straße am geöffneten Fenster vorbeifährt und die Vögel die im Baum zwitschern. Und dann hatte ich ja noch meine eigene Arbeit zu erledigen, die ebenfalls aus dutzenden Telefonaten, ebenso vielen E-Mails und dem obligatorischen Schreibkram bestand. Und mein Gehirn verarbeitet das alles, weil bei Autisten die natürlichen Filter, die jeder Mensch hat, einfach nicht funktionieren. Bei nichtautistischen Menschen werden alle Reize, die nicht ein bestimmtes Wichtigkeitslevel haben, vom Gehirn auf unbewusster Ebene herausgefiltert. Also lange bevor sie das Bewusstsein erreichen. Bei Leuten wie mir, funktioniert das nicht. Alles wird als gleichwertig wahrgenommen.
Man sagt, dass im Thalamus (dem natürlichen Filter im Gehirn) etwa 70.000 Reize pro Sekunde ankommen. Bei Nichtautisten kommen aber nur etwa 70 dieser Reize auf der Bewusstseinsebene an. Mehr können auch nicht verarbeitet werden. Jetzt bekommt man einen ungefähre Vorstellung von dem Reizbombardement dem autistische Menschen Tag für Tag ausgesetzt sind. Allerdings ist dies auch von Autist zu Autist verschieden. Je nachdem, wie gut der Reizfilter funktioniert.
Das folgende Zitat erklärt es genauer.

"Es ist, als ob all deine Sinne verstärkt würden. Um den Faktor eins, zwei, drei oder vielleicht sogar zehn. Je nachdem, wie stark der Autismus ist." Hirnforscher Henry Markram, École Polytechnique Fédérale de Lausanne, Schweiz

18. November 2023

Ich bin Asperger-Autist

Wenn ich früher etwas von Autismus hörte, hatte ich Leute wie Dustin Hoffman in dem Film "Rain Man" vor Augen, der eine der Hauptrollen in diesem Film spielte. Der Raymond genannte Autist konnte beim Black Jack Karten zählen und verhalf seinem etwas zwielichtigem Bruder zu einer neuen Einnahmequelle. Ansonsten war er kaum allein lebensfähig. Ich hatte also Leute mit einer ziemlich schweren geistigen Behinderung vor Augen.

Es ist jetzt etwa ein Jahr her, dass bei mir nach dem ansehen eines Videos auf Youtube der Verdacht aufkam, dass ich auch Autist sein könnte. Ich recherchierte in den nächsten Monaten extrem viel zu diesem Thema und mein Verdacht erhärtete sich immer mehr. 
Heute bin ich diagnostiziert und weiß es sicher.
Wer den oben genannten Film und mich persönlich kennt, wird zwischen dem Raymond und mir nur sehr begrenzte Ähnlichkeiten feststellen können. Die Erklärung dafür liegt darin, dass es verschiedene Arten von Autismus gibt. Der Raymond aus dem Film wurde früher als Kanner-Autist bezeichnet, während Leute wie ich Asperger Autisten genannt werden. Oder besser gesagt wurden. Im neuen ICD-11 (der Bibel für medizinische Störungen und Krankheiten) wird von einer Autismus-Spektrums-Störung (ASS) gesprochen.
Stark vereinfacht dargestellt kann man sich das ungefähr so vorstellen, als wenn unser Raymond sich ganz rechts im Spektrum befindet, während Leute wie ich eher auf der ganz linken Seite zu verorten sind. Mich kann man also als hochfunktionalen Autisten bezeichnen. Manche nennen es auch eine leichte Form von Autismus, was aber nicht stimmt. Autisten wie ich können sich aufgrund fehlender Intelligenzminderung sehr gut anpassen, was aber auch wieder nicht auf alle Autisten zutrifft. Dadurch falle ich kaum auf, aber mein Leben ist sehr, sehr anstrengend und manchmal kaum meisterbar. Es ist, als wenn man die ganze Zeit gegen seine eigentliche Natur lebt. Also in etwa so, wie in der Geschichte vom hässlichen Entlein.